CALIFORN-IR - ©Simon Puschmann

CALIFORN-IR – ein dystopischer Roadtrip durch Kalifornien

Autor: Simon Puschmann

Kalifornien: Traumfabrik, Counterculture, Hightech-Industrie.

Kein anderer amerikanischer Landstrich hat viele Generationen massenkulturell so geprägt wie dieser. In seiner neuen Serie CALIFORN-IR beschäftigt sich Simon Puschmann mit der Infrarotfotografie und bietet dem Betrachtenden einen spannenden und zugleich verstörenden Blick auf das gegenwärtige Kalifornien.

CALIFORN-IR - ©Simon Puschmann

Aufgenommen mit einer umgebauten Sony A7R3 bei 550 nanometer, die Licht jenseits des menschlich sichtbaren Spektrums abbildbar macht, entstanden im Februar 2022 45 Arbeiten.

CALIFORN-IR - ©Simon Puschmann

Chlorophyll, das Organismen bilden, die Photosynthese betreiben, erscheint im Wellenspektrum des menschlichen Auges als grün, während es unter Bedingungen der Infrarotfotografie entweder als transparent – eine Beobachtung, die 1919 von Robert Williams Wood erstmals veröffentlicht wurde – oder in der Nachbearbeitung mit einer der sieben Spektralfarben belegt werden kann. Puschmann wählt die Wellenlänge, die für das menschliche Auge als Farbton Gelb sichtbar wird.

In der Antike wird dieser Farbton mit der Sonne und damit mit Leben und Wachstum sowie mit der Prosperität der Gesellschaft assoziiert, eine Assoziation, die unter Louis XIV zur mit Blattgold überzogenen Sonne als Signum seines Herrschaftsanspruchs ihren Höhepunkt findet. Das gelb empfundene Sonnenlicht spendet Wärme, Licht und Wachstum, aber die Farbe Gelb ist auch die Farbe des Schwefels, des Wüstensands oder der verdorrten Pflanzen, denen das Chlorophyll entwichen ist und die keine Photosynthese mehr betreiben können.

Puschmann bietet mit der Verwendung der Farbe Gelb statt der sonst in der Infrarotfotografie üblichen Farbe Rot einen ungewöhnlichen und gleichzeitig irritierenden Blick. Einerseits bieten seine Arbeiten in ihrer Quadrierung, die mal wohl proportioniert, mal bewegt ist, Momente, die etwas Neues, noch nicht Gesehenes herausarbeiten. So wird ein Motiv, das eine Girlande mit den Buchstaben ‚Venice‘ im gegenlichtigen Sonnen-Schattenspiel zeigt, zu ‚nice‘ verdichtet und damit Ausdruck eines sommerlichen Gefühls, während eine Totale auf eine spröde Gebirgslandschaft in ihren rot-gelblichen Farben eine herbstliche Stimmung suggeriert.

CALIFORN-IR - ©Simon Puschmann

Auch wird die Golden Gate Bridge vor lichter Sonne mit rot-gelblichen Laub im Hintergrund zu einer filigranen Skulptur, deren Eleganz unumstritten ist, während ein Schuss aus einem fahrenden Auto mit Blick auf eine einsame Bucht Urlaubsgefühle erzeugt. Andererseits eröffnet die Ersetzung der Farbe Grün der Pflanzen durch ein strahlendes, fast giftig wirkendes Gelb in manchen Bildern eine Kette von dystopischen Assoziationen, die nicht nur an die schöne Vergänglichkeit des Herbstes oder an sommerliche Freiheit denken lässt, sondern an versengtes Laub, unfähig mit der natürlichen Chemikalie Chlorophyll Photosynthese zu betreiben.

Diese künstlerische Entscheidung gibt den Arbeiten damit auch etwas Hartes, enorm Bedrohliches, das kombiniert mit dem kräftigen Blau des Himmels, der oft mit Lens Flares abgebildeten Sonne und der ausgefeilten Cadrage auch als mahnender Kommentar gelesen werden kann. Harmlose Momentaufnahmen aus dem Auto können als Fluchtszenarien gelesen werden. Straßenszenen oder Blicke auf die vorbeiziehende Landschaft suggerieren Endzeit. Landschaftsaufnahmen von Küsten und Gebirgsketten gerieren sich als mondartige Landschaften und Aufnahmen von Laubbäumen in den Bergen oder solitäre Bäume an der Küste werden zu mahnenden Skulpturen, die trotz ihrer traumhaften Schönheit von der albtraumhaften nahen Zukunft erzählen.

CALIFORN-IR - ©Simon Puschmann

Die Aufnahmen eines pittoresken Städtchens mit Passanten und seinen gut gepflegten Bäumen, eines alten VW-Busses aus den siebziger Jahren, der Ikone für ein von Gesellschaftszwängen befreites Leben, oder der in Appartementschluchten stehenden Pflanzen, die normalerweise für Schatten, Schönheit und Sauerstoff sorgen sollen, können so als Warnung gelesen werden.

CALIFORN-IR - ©Simon Puschmann

In der Kunst wird seit einiger Zeit das Zeitalter des Anthropozän verhandelt. Es beschreibt den Einfluss des Menschen auf die Umwelt, der geologisch sichtbar ist. Lichtverschmutzung, Verschmutzung der Meere, Ressourcenverbrauch und hohe Emmissionswerte durch Verbrennung fossiler Energie sind abbildbar geworden und haben sich in die Erde eingeschrieben. Puschmann zeigt mit der Serie CALIFORN-IR wie es gelingen kann mit ausgefeilten fotografischen Mitteln und einem künstlerischen Spürsinn einen wertvollen diskursiven Beitrag zur Gegenwartskunst zu leisten, der die Betrachtenden nicht nur mit einem neuen, ungewöhnlichen Blick in seiner Schönheit sublim unterhält, sondern auch fast indiskret auf die ökologischen Folgen hinweist. Puschmann sind damit Bilder von ambivalenter Schönheit gelungen.

Bilder: Simon Puschmann
Text: Alexandra Neuss

Webseite Simon Puschmann: www.simonpuschmann.com
Virtuelle Galerie: www.californ-ir.xyz
Buchbestellung: https://lnkd.in/eRjpHRqH

Nicht Verpassen! Ein Vortrag über das Projekt findet am 16.10.22 um 11.30 Uhr auf der Photopia in Hamburg statt.

CALIFORN-IR - ©Simon Puschmann
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